Louann Brizendine:
„Das weibliche Gehirn." (2008) (Original: „The Female Brain“)
Die Professorin für Neuropsychiatrie an der Universität von Kalifornien und Gründerin der „Women‘s and Teen Girl‘s Mood and Hormone Clinic“ in San Franzisco, Dr. Louann Brizendine schrieb 2008 mit ihrem Fachbuch über die Geschlechter-Unterschiede einen überraschenden Bestseller. Ein wirklich SEHR lesenswertes Buch (ebenso wie ihr zweites: „Das männliche Gehirn“, das 2011 auf den Markt kam.)
Die engagierte Autorin schließt im Epilog mit folgenden Worten: „An der University of California in Berkley kursierte in den 70er Jahren des 20. Jhdts. unter jungen Frauen das Schlagwort ‚mandatory unisex‘, was nichts anderes bedeutet, als dass es politisch nicht korrekt war, über Geschlechterunterschiede zu reden. Aber die biologische Realität sieht anders aus. Das ‚Unisex-Gehirn‘ gibt es nicht. … Ich habe mich entschlossen, der wissenschaftlichen Wahrheit gegenüber der politischen Korrektheit den Vorrang einzuräumen, auch wenn wissenschaftliche Wahrheiten vielleicht nicht immer willkommen sind. (S. 245). … Wenn man so tut, als wären Frauen und Männer gleich, erweist man nicht nur beiden Geschlechtern einen Bärendienst, sondern beleidigt damit letztlich die Frauen. Wer den Mythos von dieser Norm beibehalten will, ignoriert die biologischen Unterschiede. Außerdem nimmt man dann nicht zur Kenntnis, dass Gedankengänge bei Frauen anders verlaufen und dass sie deshalb eine andere Vorstellung davon haben, was wichtig ist. … Wenn ich die Frauen in meiner Praxis frage, welche drei Wünsche sie äußern würden, wenn eine gute Fee ihren Zauberstab schwingen würde, um sie zu erfüllen, erhalte ich fast immer die gleiche Antwort: ‚Lebensfreude, eine erfüllte Beziehung und weniger Stress durch mehr Zeit für mich selbst.‘ Es gehört zu den größten Rätseln in unserem Leben, warum wir Frauen uns derart stark dem heutigen Gesellschaftsvertrag unterordnen, der häufig der natürlichen Verdrahtung unseres weiblichen Gehirns und unserer biologischen Realität zuwiderläuft.“ (S. 243ff).
Auf den fast 250 Seiten davor entwickelt die Expertin, inwiefern die beiden Geschlechter so sehr unterschiedliche Anlagen mit in ihr jeweiliges Leben bringen. Mit welchen neuro-physiologischen Forschungsergebnissen die Autorin aufzuwarten hat, spricht m.E. Bände, vor allem, wenn sie auf die unterschiedliche Auswirkung und Bedeutung geschlechter-spezifischer Hormone sowie die genetisch / epigenetisch unterschiedlichen Prägungen der Geschlechter zu sprechen kommt. – WOW! Wer sich als Leserin / Leser auf Brizendine’s Forschungen & Überlegungen einlässt, kann über das Mitgeteilte so recht ins Staunen geraten …
Hier einige Zitate: „Sieht man sich die Unterschiede im Gehirn etwas genauer an, kann man an ihnen ablesen, was Frauen zu Frauen und Männer zu Männern macht. … Wie sich durch unsere Untersuchungen herausstellte, haben Hormone so tiefgreifende Auswirkungen auf das weibliche Gehirn, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, die Realität einer Frau werde durch sie erst erschaffen. Sie können ihre Wertvorstellungen und Wünsche prägen und sagen ihr Tag für Tag, was wichtig ist. … Die Gehirnzentren für Sprache und Hören beispielsweise enthalten bei Frauen (im Schnitt) elf Prozent mehr Neuronen als bei Männern. Bei Männern dagegen ist dem Sexualtrieb im Gehirn zweieinhalb Mal (!) mehr Raum gewidmet und auch die Gehirnzentren für Aktivität und Aggression sind größer. … Männer verfügen auch über eine größere Verarbeitungsaktivität der Amygdala, jenem urtümlichen Gehirnareal (Reptiliengehirn), das Angst und Aggression auslöst.“ (S. 12, S. 14f, S. 17).
Brizendine weiß natürlich, dass sie mit ihren fachlichen Hinweisen jeden „Gleichheits-Feminismus“, der ja von Weiblichkeit oder Männlichkeit am liebsten nicht länger sprechen will, Lügen straft. So schreibt sie: „Biologische Gegebenheiten bilden tatsächlich das Fundament unserer Persönlichkeit und unserer Verhaltenstendenzen. Aber im Namen des freien Willens – und der politischen Korrektheit – leugnen wir gern die biologischen Einflüsse im Gehirn und kämpfen damit gegen unsere Natur an. … “ (S. 19) … Soweit erste Gedanken aus der Einleitung dieses Buches.
Und auch über die Universalität von Aggression bei beiden Geschlechtern weiß Brizendine aus (ihren) Forschungen zu berichten: „Aggression ist bei beiden Geschlechtern gleichbedeutend mit Überleben und beide Geschlechter besitzen im Gehirn entsprechende Schaltkreise. Bei Mädchen ist die Aggression aber raffinierter strukturiert, was vielleicht den einzigartigen Aufbau ihres Gehirns widerspiegelt.“ Brizendine spricht in diesem Zusammenhang von „Aggression mit einem rosa Weichzeichner“. (S. 57)
Die Fragen, welche sich daraus bzgl. soziologischer Konsequenzen sowie des gemeinsamen Leben-Umgangs miteinander ergeben, sind: Wie wollen wir als Gesellschaft gleichberechtigter Männer und Frauen damit umgehen, wenn „das Gehirn eines Mädchens (einer Frau) zyklisch von Östrogen überschwemmt“ wird – mit allen daraus entstehenden Konsequenzen. Bzw. damit, dass „das Gehirn eines Jungen (eines Mannes) vom Testosteron aus den Hoden umspült“ wird – so man um die jeweils unterschiedlich eigen-artigen Wirkungen von Östrogen bzw. Testosteron weiß?
Was mir jedenfalls durch diese Lektüre deutlich wurde: KEINER erlebt diese Welt gleich. – Und schon gar nicht die jeweils geschlechterspezifische Gruppe der Männer und Frauen! Es wird somit soziologisch weise und versöhnlich sein, vom eigenen Alltags-Erleben nicht auf das des jeweils anderen Geschlechts zu schließen, sondern Wohlwollen zu zeigen – um die schönen Seiten am jeweils Anderen bewusst sehen zu können. Die Kooperation ihrer Unterschiede ist möglich, weil sie wichtig ist.
4,5 von 5 Sternen – Klaus
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