Louann Brizendine:
„Das männliche Gehirn“ (2011) (engl.: „The Male Brain“)
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Nachdem die Professorin für Neuropsychiatrie an der Universität von Kalifornien und Gründerin der „Women‘s and Teen Girl‘s Mood and Hormone Clinic“ in San Franzisco, Dr. Louann Brizendine mit ihrem Fachbuch „The Female Brain“ einen Bestseller über die Geschlechter-Unterschiede schrieb, hat sie nur zwei Jahre später dieses Buch veröffentlicht. – Ich habe es gerade eben mit großem Interesse und zur Gänze gelesen.
Die engagierte Autorin schließt das Buch mit folgenden Worten – an die Frauen als Leserschaft: „Wenn wir die biologischen Verhältnisse im Gehirn des Mannes verstehen, können wir seine Realitätswahrnehmung besser begreifen. Die Konflikte zwischen Männern und Frauen werden zu einem großen Teil durch unrealistische Erwartungen geschürt, deren Ursache wiederum darin liegt, dass wir unsere angeborenen Unterschiede nicht berücksichtigen. Den Männern würde ich sagen: Ich hoffe, ich habe Licht in die Neigungen des männlichen Gehirns und seine physiologischen Reaktionen auf Hormone gebracht. Dies kann für mehr Klarheit über die Grundlagen ihrer natürlichen Bedürfnisse, Denkweisen, Gefühle und Kommunikationsweisen sorgen. Meiner Überzeugung nach können solche Informationen den Männern ein Gefühl der Erleichterung verschaffen, weil sie nun endlich verstanden werden.“ (S. 167)
Auf den Seiten zeichnet die renommierte Expertin auf leicht verständliche Weise, von welchen hormonell konzipierten Einflüssen das männliche Gehirn gesteuert und bestimmt wird. Hierzu ein paar ihrer Hinweise im exemplarischen Wortlaut:
Hormone: „Das Anti-Müller-Hormon … auch als Defeminisierungshormon bekannt, entfernt aus dem Mann erbarmungslos alles Weibliche. Das AMH gewährleistet den Aufbau der Gehirnschaltkreise für Forscherdrang, unterdrückt Schaltkreise für weibliches Verhalten, entfernt aus dem Mann erbarmungslos alles Weibliche, zerstört während der Embryonalentwicklung die weiblichen Fortpflanzungsorgane und trägt zum Aufbau der männlichen Fortpflanzungsorgane und Gehirnschaltkreise bei.“ (S. 22 und S. 31f).
„Manche Verhaltensweisen und Fähigkeiten sind von Geburt an im Gehirn eines Jungen fest verdrahtet und programmiert, andere sind von Geburt an im Mädchengehirn angelegt. … Solche Unterschiede werden durch Kultur und Erziehung verstärkt, aber ihren Ausgangspunkt haben sie im Gehirn.“ (S. 29)
Die Bedeutung von Spielen: „Zu gewinnen ist für Jungen von entscheidender Bedeutung, denn für sie liegt der wahre Zweck eines Spiels darin, eine soziale Rangordnung festzulegen. (S. 39) … Die Rangordnung ist für sie eindeutig von größerer Bedeutung. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen wird ein Junge schon mit zwei Jahren von seinem Gehirn dazu angetrieben, körperliche und gesellschaftliche Dominanz anzustreben.“ (S. 43)
Räumliche Bewegung / Orientierung: „Wissenschaftler bezeichnen diesen Vorgang als verkörperte Kognition: Die Muskeln und Körperteile, die zum Erlernen eines Wortes genutzt werden, bleiben mit der Bedeutung dieses Wortes verknüpft. Dies gilt für das Gehirn aller Menschen, doch für Jungen scheint es von besonders großer Bedeutung zu sein. Den Lehrern ist es vielleicht lästig, aber zappelnde Jungen lernen unter Umständen besser als andere, die stillsitzen. (S. 46) … Am faszinierendsten fand ich die Beobachtung, dass das Areal für räumliche Bewegungen im männlichen Gehirn ständig eingeschaltet ist: Es arbeitet automatisch im Hintergrund. Im weiblichen Gehirn dagegen ist die betreffende Region im Schläfenlappen ‚ausgeschaltet‘ und wartet, bis sie bei Bedarf aktiviert wird.“ (S. 47)
Die Welt auffassen: „Könnte eine Frau die Welt durch die ‚männliche Brille‘ sehen, sie wäre erstaunt, was für ein Bild sich ihr bieten würde. (S. 60) … Bei den Jungen geht es um Spiele und Gegenstände, bei Mädchen um Menschen und Beziehungen.“ (S. 64) …
Unnatürliches Verhalten (Frauen gegenüber ihren jugendlichen oder erwachsenen Männern): Auch hierzu trägt die Expertin Brizendine Wesentliches aus der endokrinologischen sowie Hirn-Forschung bei: Ebenso wie durch Pheromone „geruchlose Düfte“ (S. 79), spüren / wissen (junge) Männer, dass unstimmig „erzieherisches bzw. mütterliches Verhalten“ ihrer Frauen / Sexualpartnerinnen ihnen gegenüben, körperliche Aversionen – bis hin zu Verweigerung – auslösen wird. Denn: Das männliche Gehirn entwickelt hormonelle Gegenkräfte: „Wie Wissenschaftler nachweisen konnte, fühlen (nicht nur) halbwüchsige Jungen sich von der körperlichen Nähe ihrer Mutter abgestoßen, sondern auch von ihrem Geruch. Die Forscher äußerten die Vermutung, dies könnte sich im Laufe der Evolution als Schutz gegen Inzucht entwickelt haben. … Während Jakes Gehirn diese körperlichen Schranken gegenüber seiner Mutter aufrichtete, zog es auch klare Grenzen rund um sein Privatleben.“ (S. 72)
Weiter findet sich Wichtiges im Buch über die „Paarungssinne“ (wie z.B. Stimmhöhe / S. 79) sowie „Sex und Liebe“ (S. 88). – Über: „Vertrauen in den Vater“ (S. 116); zu „Disziplin als väterlicher Schutz“ (S. 120); Unterschiede in der „Unterstützung der Kinder“ (auch später) durch Vater bzw. Mutter (S. 127f). – Details über „Gehirnschaltkreise & Hormone“ (S. 132)
Ein weiteres m.E. wichtiges Kapitel ist jenes über „Ego & Wut“ (S.133ff) – wie sie (unbeabsichtigt) angestachelt oder besänftigt werden kann wird.
Und es werden evolutive Fragen geklärt: Was sind die „Vorzüge stabiler Hierarchien“– vor allem im Bereich von Männern (S. 140), die Gefahren von Vereinsamung sowie last-but-not-least: Was sagen uns „Testosteron-Versuche“ etc. und seine Wirkungen bei Männern bzgl. Frauen (S. 160)!
… die Kooperation der Geschlechter und ihrer Unterschiede ist möglich.
Was es braucht ist zunächst das Verständnis und in Folge unsere Bereitschaft zu erkennen und anzuerkennen, dass vieles von dem, was uns komisch erscheint, mehr mit unseren unstimmigen Vorstellungen zu tun hat als mit dem / der jeweils Anderen.
5 von 5 Sternen – Klaus